Montag, 24. Mai 2010

die besprochene Sammlung


Birgit Kempker, die besprochene Sammlung, Montag 10.Mai 2010. Auf Besuch bei Sonja Luck.

Die Sammlung von Sonia Luck,

die sie mir zeigt, ist sie selbst, schlägt sie mir vor, als ich da in einer Pracht von Projekten, Objekten und Kisten und Schachteln und vollgefüllten Latenzen stehe in ihrer Küche hoch oben zwischen Wolken, Bergen und Gras, Holz und Kühen. Es ist ein Vorschlag zur Güte, denn hier ist viel, viel zu viel Gutes und Güter, Schätze, Wissen, wenn ich ein Scout wäre, oder eine Galeristin, würde ich keine Ruhe mehr finden, bis ich Sonias Arbeiten unter Dach und Fach wüsste, ihre Kreativität eingefädelt in nennbare Projekte und Produkte und meine Überwältigung meinerseits produktiv überwältigt hätte.

So geniesse ich den Luxus, pur, in einen reichen Speicher blicken zu dürfen, mit all seinen nur zum allerkleinsten Teil ausgeschöpften Möglichkeiten. Der Steinbock, sein Schädel, schaut mich an von der Wand und ich schaue das Foto von dem Fundort und dem Schädel, als noch schwarzes Fleisch dran war, an. Und stelle mir nicht vor, wie sie mit einem Taschenmesser das Fleisch vom Knocheln säbelt. Sonia hat dieses Tier während ihrer Hirtinnenzeit auf der Alp gefunden. Es sei lange ihr Traum gewesen, selbst so einen Steinbock zu entdecken. Das Foto ist ein Traum, wenn man so was sagen kann, ein Traum von Foto und Bild. Es zeigt auf einen Blick eine ganze Welt und ein Teil dieser Welt ist dieser Blick. Und ich scheue mich, sie zu benennen, diese Welt und die Sicht, weil Sonia selbst eine Art Scheu hat, ihre Begabungen und Sichten zu vermarkten und vielleicht auch Mühe, diese zu kanalisieren, zu entscheiden, weil das ja Lebensentscheidungen sind und Sonias Leben richtet sich bis jetzt nach ihrer Zeit auf der Alp im Sommer. Ich springe.

2005 das Projekt: ich spinne. Zwei Wochen wandert Sonia in Graubünden von Berg zu Berg, stellt dort das jeweilige Wetter fest, spinnt mit einer Handspindel einen entsprechenden Faden und wird noch am selben Tag mit einem Lendenwebgerät einen kleinen quadratischen Himmel weben und Notizen zum Tag eintragen. Die Wolle hat sie zuvor in Himmelsfarben eingefärbt, zu wenige Nuancen, merkt sie während der Reise. Sammelt Sonia Berge? Sammelt sie Wetter? Situationen? Himmel? Himmelsfäden? Farbnuancen? Wolken? Tierhäute? Tierhaare? Fell? Gummi? Autoreifen? Plastikbänder? Geschenkbändel? Gartenbast? Zierleinen? Ziegenhufe? Sie sammelt Herausforderungen, Grenzerfahrungen, Erfolge, selbstgestellte Aufgaben erfüllt zu haben. Sie sammelt vielleicht auch Möglichkeiten von sich selbst auf Welt, was sie davon findet und nach Haus trägt oder da sein lässt, wo es ist, zu reagieren. Sonia spinnt nicht nur, sie webt auch. Das Weben kommt nach dem Spinnen. Das Spinnen ist von Hause aus und auch vom Namen her eine komplexe, und wie ich finde, paradoxe Angelegenheit. Spinnen, durchdrehen, aus Stroh Gold spinnen, also Alchemie, sich im Kreise drehen, sich einspinnen, ein magischer Vorgang, einen Kreis um sich ziehen, allein sein, mit sich selbst eine Welt bilden, durchdrehen, irre sein, in die Irre gehen, aber auch aus einem Wollwusel einen Faden machen, also Kontinuität, Stringenz, Kohärenz, Zusammenhalt, das Gegenteil, den Faden entwickeln, aus dem Tierhaar entwuseln, Ordnung und Linie, Abstraktion und Entscheidung pur, Orientierung im Irrgarten, roter Faden im Labyrinth.
Auch Weben ist ein vielschichtig besetztes Bild und auch Vorgang. Das Verweben, schichten, als poetische Tätigkeit, ähnlich der des Schreibens, Träumens, Palimpsestieren ... Schriften durch Schriften, Fäden durch Fäden fädeln, shiften... ; nur ist Sonias Weben, und auch Umgang mit Webstühlen übrigens, antisentimental und sie versteht sich nicht als Hüterin einer alten, untergehenden Kultur, oder gar als Hüterin von Webstühlen, über die sie sich auch noch freuen soll, wenn sie solche abholen und bei sich archivieren darf, sie hegen und pflegen, im Gegenteil, sie würde gerne mal einen Meter Stoff weben, dann den Webstuhl mit dem Stoff in die Landschaft stellen und anzünden, und darauf Würstchen grillen und essen. Ihre Diplomarbeit macht etwas ähnliches mit einem Kleid, hergestellt aus leuchtenden Fäden, ein Lichtkleid, das verbrennt, eines der vielen Projekte.

Spinnen und Weben, wie in den Märchen, Frau Holle, Rumpelstilzchen, Dornröschen, die zwölf Brüder, die sechs Schwäne, Spindel, Weberschiffchen und Nadel, immer hat das Spinnen mit Übergängen und Verwandlungen, Reifungsprozessen oder gar Heiratsproben zu tun und wer zu eifrig ist im Spinnen und Weben und andere übertreffen will darin, kann, wie von der Göttin Athene die Arachnida, zu einer Spinne als Strafe verwandelt werden. Dann gibt es da noch die Nornen, die Schicksalsfäden spinnen, die Parzen, die Moiren ... ein gefährliches und umfängliches, dschungelhaftes Gebiet.

Sonia sammelt, was sich verweben lässt und kann so schnell keine Grenze nennen, was sich nicht dazu eignet. Sie sammelt alle Formen von Schnüren, Seilen, Bändern aus Gummi, Stroh, Metall, wasserlösliche Stoffe, Wolle von schwarzen, weissen, grauen Schafen, Ziegen, Haare von Pferden, Ziegen, Schwanzhaare von Pferden, aber auch Lärchennadeln, Sägemehl, ... und entwickelt an kleinen Modellen mögliche Kombinationen und Webarten. In den Kästchen und Tüten, Schachteln und Schubladen sind auch Zähne, Knochen, Hufe von Ziegen, kleine und grosse, und im Kühlschrank zwei Plastikpackungen mit Fett. Sieht aus wie Pansen und Sonia erklärt und zeigt mir, wie dieses Fett zum Konservieren und Frittieren verwendet wird, hier sammelt sie alte Bräuche, diesen hat sie gerade aus Chile mitgebracht.

Die Isolatorenlatte endlich, ein Holz, in das Isolatoren geschraubt sind, bunte Lollipops, ist eine klassische Sammlung mit noch Lücken. Seit 16 Jahren lebt Sonia mit diesen Isolatoren, im Rucksack habe man immer welche dabei zum Zäunen der Weidegebiete, aber auch zum Wäscheaufhängen, etc. Das gebräuchliste Modell heisst: Lori 50. Ich verspreche, im Elsass Ausschau nach Isolatoren zu halten und hoffe einen zu finden, der noch nicht in der Latte steckt.

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